Immer mehr Teile unseres Lebens werden digitalisiert, warum also nicht auch Statussymbole?
Wenn deine Kontaktliste plötzlich voller verpixelter Punks, Vögel und allerlei Affen ist, dann merkst du: Die NFT-Welle hat China erreicht.
Es entwickelt sich eindeutig ein lokales Ökosystem, das die Grundlage einer Blockchain-basierten Wirtschaft bilden könnte – wenn auch streng reguliert.
Der NFT-Markt in China: „Lasst uns Profilbilder kaufen“
„Sag mal, kaufst du auch Profilbilder? Meine Studenten haben damit ein Vermögen gemacht, wirklich verrückt.“ So fragte mich eine verblüffte chinesische Kunstschullehrerin zum ersten Mal nach NFTs. Sie hat keine Ahnung von Technik, geschweige denn Blockchain, und jeder Versuch ihr die Welt von DeFi zu erklären wäre nach einer Minute mit einem gähnenden „was soll das Ganze“ geendet. Aber die Idee hinter NFTs ist selbst für technisch nicht versierte Menschen einfach zu verstehen: Jeder besitzt gerne Dinge, die die eigene Persönlichkeit oder Gruppenzugehörigkeit ausdrücken. Wir nennen das ein Statussymbol – der „Meatspace“ ist voll davon. Immer mehr Teile unseres Lebens werden digitalisiert, warum also nicht auch Statussymbole?
„Profilbilder kaufen“ (chinesisch: mai touxiang, 买头像) ist so etwas wie die chinesische Alternative zu „illiquid jpegs“. Im Grunde eine vereinfachende, leicht amüsante Art für Krypto-Außenseiter (und sogar manchen Insider), um den NFT-Wahn in Worte zu fassen. Wenn deine Wechat-Kontaktliste (das chinesische Whatsapp) plötzlich voller verpixelter Punks, Vögel und allerlei Affen ist, dann merkst du: Die NFT-Welle hat China erreicht.
Als einige meiner Kontakte ihre Profilbilder auf NFTs änderten, wurde mir schlagartig bewusst, wie gut insbesondere PFP-NFTs (Profile Picture) zur chinesischen bzw. asiatischen Kultur passen. Im Gegensatz zu den meisten Europäern verwenden Chinesen normalerweise kein Bild von sich selbst als Profilbild in den sozialen Medien. Vielmehr verwenden sie Fotos ihrer Haustiere, lustige Tierbilder, Stars oder auch Bilder von irgendwelchen Menschen. Das kann manchmal sehr verwirrend sein, bedeutet aber auch, dass Chinesen den Wert von NFTs intuitiv erfassen. Der bisherige Erfolg von PFP-NFTs gegenüber reinen Utility-NFTs scheint das zu bestätigen.
Was sind Digital Collectibles (DC)?
So viel zur Popularität von NFTs im Allgemeinen. Aber natürlich dauerte es nicht lange, bis die Realität der Kryptoregulierung in China auch die NFT-Spekulaten einholte. Das Verbot aller kryptobezogenen Dienstleistungen vom September 2021 betraf auch NFT-Trading. In diesem Fall hat die Regierung jedoch eine regulierte Alternative zu NFTs namens „Digital Collectible“ (DC, Chinesisch: shuzi cangpin, 数字藏品) zugelassen. Eine interessante Entwicklung wenn man bedenkt, dass die Regierung im Fall von Kryptowährungen nie daran gedacht hat, auch nur ansatzweise eine regulierte Version zu erlauben. Offensichtlich erkennt die Regierung einen gewissen Wert in der NFT-Technologie.
DCs sind weitgehend identisch mit NFTs, natürlich mit einem entscheidenden Unterschied: sie bauen nicht auf offenen Blockchains auf. Stattdessen hat China einheimische Alternativen zu öffentlichen Blockchains, wie das „Blockchain-based Service Network“ (BSN). BSN integriert große Konsortium-Chains wie Hyperledger oder Baidus XuperChain, sowie öffentliche Ketten wie Ethereum. Es handelt sich im Wesentlichen um ein Multichain-Ökosystem, das in seiner lokalisierten Version sicherstellt, dass alle Transaktionen dem chinesischen Gesetz entsprechen. Es gibt auch eine globale Version, die angeblich chinesische staatliche Akteure ausschließt und vollständig transparent ist.
BSN wird von China Mobile und anderen großen Technologieunternehmen wie Red Date Technology, Chinas größtem Blockchain- (aber nicht Krypto-) Technologieunternehmen, unterstützt. Andere chinesische Technologiegiganten wie Ant Group (AntChain) und Tencent (Zhixin Chain) haben ebenfalls separate Blockchain-Ökosysteme entwickelt und ihre eigenen Versionen von DCs veröffentlicht. Viele lokale chinesische Künstler und Institutionen wie z.B. Museen verkaufen bereits DCs auf einer von mehreren hundert Plattformen. Allerdings ist ein freier Handel in vielen Fällen nicht oder nur eingeschränkt erlaubt, um Spekulation zu begrenzen.
Zukunft von NFTs in China – teile und herrsche?
Meiner persönlichen Erfahrung nach sind die Meinungen unter Chinesen über DCs vs. NFTs zweigeteilt. Auch die Communities sind weitgehend voneinander isoliert. Wer z.B. NFTs handelt, fasst DCs meist nicht an. Einige sagen mir, dass sie nur NFTs anerkennen, weil sie frei handelbar sind und auf offenen Blockchains aufbauen. Aber es gibt eine beträchtliche Gruppe von überwiegend älteren und traditionelleren chinesischen Unternehmern die denken, dass DCs großes Potenzial haben. Sie sehen darin eine ernsthafte Alternative zu unregulierten NFTs und einen wichtigen Baustein der zukünftigen chinesischen Metaverse-Ökonomie.
Dazwischen liegen die Künstler. Aus den wenigen Gesprächen, die ich geführt habe, habe ich den Eindruck gewonnen, dass sie sehr an NFTs interessiert sind. Vor allem, um ihre Kunst einem internationalen Publikum zu verkaufen. Aber auch die Idee, ihre Kunst für global handelbare Wertanlagen zu verkaufen, was ETH, BTC usw. im Wesentlichen sind, erscheint ihnen sehr attraktiv. Die meisten von ihnen sind allerdings unsicher, wie das technisch funktioniert und noch mehr über die möglichen rechtlichen Probleme. Daher verkaufen sie ihre Kunst vorerst hauptsächlich auf heimischen Plattformen.
Mit dem Versuch, NFTs auf diese Weise zu regulieren, bleibt China seinem lang etablierten Modell der selektiven Offenheit treu. Genau wie beim Internet selbst versucht China, die Einführung neuer Technologien zu ermöglichen und gleichzeitig die Wirtschaft fest im Griff zu behalten. Den DCs fehlt sicherlich das, was die meisten internationalen Krypto-Nutzer als größte Vorteile von NFTs wahrnehmen, insbesondere ihre freie Handelbarkeit. Es entwickelt sich jedoch eindeutig ein lokales chinesisches Ökosystem, das die Grundlage einer zukünftigen Blockchain-basierten Wirtschaft bilden könnte, wenn auch streng reguliert.
Über den Autor
Maximilian Mai lebt seit 2016 in China (Chengdu, Sichuan) und ist seit 2018 hauptberuflich als Berater im Bereich Blockchain & Kryptowährungen tätig. Aktuell ist er Mitgründer und Chief Business Development Officer bei BerlinDAO (www.berlindao.com). BerlinDAO ist eine Web3 Marketing-Agency mit Fokus auf neueste Marketing-Trends und Methoden um die besten Resultate für Kunden zu erzielen.
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