In einem Interview gibt uns Alexander Bechtel wertvolle Einblicke in die aktuelle Marktsituation, die Auswirkungen der Zentralbankpolitik und das Potenzial von Bitcoin und Krypto.
Alexander Bechtel arbeitet unter anderem als Dozent an der Universität St. Gallen und gibt sein Wissen seit 2019 im Podcast “Bitcoin, Fiat & Rock’n’Roll” an interessierte Zuhörer:innen weiter.
BeInCrypto: Die Märkte sind seit Dezember 2021 down und viele sehen den Anstieg der Leitzinsen sowohl von der FED als auch der EZB als wichtigen Grund für die Wirtschaftskrise. Kannst du das für die Zuhörer einordnen?
Alexander Bechtel: Ja, gerne. Zinsen sind wichtig und Zentralbanken haben in den letzten zehn Jahren eine immer wichtigere Rolle eingenommen. Diese Jahre waren sehr speziell aufgrund der Pandemie, des Krieges in der Ukraine und des starken Zinsanstiegs. Es ist schwierig, diese Dinge komplett auseinanderzuhalten, da sie sich bedingen. Anfang 2020 während der Pandemie haben wir einen relativ starken Einbruch an den Märkten erlebt, der sich schnell wieder erholt hat, weil die Zentralbanken und Staaten sehr stark in die Märkte eingegriffen haben.
Der Kriegsausbruch in der Ukraine hat sich bereits in den Monaten und Jahren vorher angekündigt. Diese politischen Auswirkungen haben sich auf verschiedene Assets unterschiedlich ausgewirkt. Risk-on Assets wie Kryptowährungen leiden unter Unsicherheit im Markt, genauso Aktien wie Apple oder Tesla. Wenn Unsicherheit herrscht, flüchten die Menschen in sichere Anlagen wie den US-Dollar oder US-Staatsanleihen. Das ist zumindest ein wichtiger Treiber für den Preisrückgang von Kryptowährungen bei hoher Unsicherheit im Markt.
BeInCrypto: In deinem Podcast hattest du schon mal erläutert, warum die Leitzinsentscheidungen grundsätzlich den Markt beeinflussen. Wir erleben gerade eine Erhöhung des Zinses, kannst du die Zusammenhänge kurz erklären?
Alexander Bechtel: Zinsen sind sehr wichtig und beeinflussen den Markt stark. Die Zentralbank beeinflusst in erster Linie die Zinsen und nicht die Geldmenge. Normalerweise macht die Zentralbank das durch die Anpassung des Leitzinses, der eine sehr kurzfristige Laufzeit hat. Wenn die Zinsen niedrig sind, hat das einen positiven Effekt auf die Wirtschaft und Vermögenspreise. Banken können sich dann günstiger von der Zentralbank Geld leihen und geben diese Einsparungen an ihre Kunden weiter. Das ermöglicht es Unternehmen, mehr zu investieren, höhere Gehälter zu zahlen und damit den Konsum anzuregen, was wiederum zu einem höherem Bruttoinlandprodukt führt.
BeInCrypto: Im Krypto Space gibt es viele Stimmen, die behaupten, dass der Sektor vom makroökonomischen Umfeld komplett entkoppelt sei. Siehst du das auch so?
Alexander Bechtel: Ich denke schon, dass Makro-Effekte jetzt in den letzten zehn Jahren, eher eine untergeordnete Rolle im Krypto Markt gespielt haben, weil es noch ein absoluter Nischenmarkt war. Den wenigen Bitcoin-Investoren war es egal, ob Zinsen oder Inflation hoch oder niedrig waren – die haben einfach Geld investiert.
Heute haben wir einen Krypto Markt, der deutlich größer und institutionalisierter ist. Institutionelle Investoren sind durchaus durch makroökonomische Entwicklungen getrieben. Wenn heutzutage die Zinsen steigen, dann wir Liquidität plötzlich in andere Anlageklassen wie Anleihen oder Aktien umgeschichtet, da der durchschnittliche Bitcoin-Investor eben kein Hardcore Bitcoin-Maximalist mehr ist.
Ich gehe davon aus, dass sich der Einfuss makroölnomischer Variablen auf lange Sicht sogar noch verstärkt. Eine spannende Frage finde ich, ob wir jemals da hinkommen werden, dass Bitcoin zu einem Risk-off Asset wird und – ähnlich wie Gold – als sicherer Hafen in turbulenten Zeiten dient.
BeInCrypto: Wie siehst du die Volatilität von Bitcoin (BTC) und wie schätzt du die Möglichkeit ein, dass es in Zukunft als digitales Gold angesehen wird?
Alexander Bechtel: Ich denke, dass Bitcoin definitiv die Voraussetzungen dafür erfüllt, digitales Gold zu werden. Es hat eine begrenzte Geldmenge, ist dezentralisiert und nicht inflationierbar. Was die Volatilität angeht, hat sich die Situation in den letzten Jahren verbessert, aber ich bin skeptisch, dass Bitcoin in den nächsten 5 bis 10 Jahren zu einem richtigen Risk-off Asset wird. Ich denke, dass es hunderte von Jahren dauern kann, bis Bitcoin sich als digitales Gold etablieren kann, ähnlich wie es bei Gold der Fall war.
Allerdings erleben wir gerade die Monetarisierung von Bitcoin. Das ist ein großer Vorteil, den niemand in 100 oder 200 Jahren erleben kann. Wenn Bitcoin in 100 Jahren wirklich erfolgreich ist, werden alle auf uns zurückblicken und neidisch sein, dass wir bei der Entstehung des Kryptosektors einen Sitz in der ersten Reihe hatten.
BeInCrypto: Wir haben ja gesehen, dass die FED in den letzten Monaten immer wieder die Zinsen erhöht hat, jedoch für die Zukunft erwartet wird, dass diese Erhöhungen langsamer werden. Auch bei der EZB ist es noch nicht ganz klar. Glaubst du, dass Bitcoin in einem Umfeld, in welchem hohe Zinsen bestehen bleiben, eine Rallye von dreistelligen Prozenten hinlegen kann?
Alexander Bechtel: Es gibt ja Nachfrage nach Bitcoin, die nicht unbedingt von den Zinsen oder der Geldpolitik abhängt, sondern von den fundamentalen Vorteilen von Bitcoin. Ich denke, dass die Nachfrage mittel- bis langfristig fundamental getrieben sein wird. Im Moment ist die Nachfrage jedoch sehr spekulativ, weshalb es immer diese sehr volatilen Phasen gibt. Ich hoffe jedoch, dass wir in Zukunft dahin kommen werden, dass es eine stabile Nachfrage nach Bitcoin geben wird, ähnlich wie bei Gold.
BeInCrypto: Würdest du den Bitcoin jetzt schon als Inflationsschutz bezeichnen?
Alexander Bechtel: Also, die Frage ist, wie man Inflationsschutz definiert. Es ist meiner Meinung nach nicht sinnvoll, ein Asset wie Bitcoin oder z.B. auch Tesla herauszunehmen, das in den letzten zehn Jahren massiv gestiegen ist und es als Inflationsschutz zu bezeichnen. Für mich ist Inflationsschutz eher dann gegeben, wenn der Preis dieses Assets steigt. Für mich ist Inflationsschutz eher dann gegeben, wenn der Preis dieses Assets steigt, wann immer die Inflation hoch ist. Hier kommen wir auch wieder zurück zu dem Thema Risk-on und Risk-off. Meiner Meinung nach muss Bitcoin erst ein Risk-off Asset werden, bevor ich ihn als Inflationsschutz bezeichnen würde. Und das ist es heute definitiv noch nicht.
BeInCrypto: Vielen Dank für das Gespräch.
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