Die europäische Marktaufsicht ESMA warnt Anleger vor Missverständnissen bei tokenisierten Aktien. Viele Investoren hielten sie fälschlicherweise für reguläre Aktien.
Natasha Cazenave, Executive Director der ESMA, betonte, dass diese Instrumente häufig keine Stimm- oder Dividendenrechte verleihen. Das könne Kleinanleger in die Irre führen und birgt Risiken für die Stabilität der Märkte.
SponsoredTokenisierte Aktien im Fokus der Aufseher
Am 1. September 2025 hielt Cazenave eine Rede auf der Konferenz „Capital Markets in the Digital Age“ in Dubrovnik, Kroatien. Dort erläuterte sie, dass tokenisierte Aktien oder abgeleitete Produkte oft nur über Zweckgesellschaften abgesichert seien. Sie böten zwar Vorteile wie Rund-um-die-Uhr-Handel und Fraktionalisierung, gewähren aber nicht dieselben Rechte wie klassische Wertpapiere.
Laut ESMA droht hier ein spezifisches Risiko von Anleger-Irrtümern, wenn tokenisierte Aktien als direkter Besitz missverstanden wird. Diese Einschätzung deckt sich mit der Warnung der World Federation of Exchanges, die Ende August strengere Maßnahmen gegen irreführende Strukturen forderte.
Gleichzeitig hob Cazenave hervor, dass die EU bei der Entwicklung von Tokenisierung früh aktiv war. Bereits 2019 hatten Banken wie Société Générale und Santander erste tokenisierte Anleihen ausgegeben.
Im Jahr 2022 folgte die Europäische Investitionsbank mit einer digitalen Anleihe an der Luxemburger Börse. Deutschland testete digitale Bundesanleihen. All diese Initiativen zeigten, dass Tokenisierung Kosten senken und den Zugang zu Kapitalmärkten erleichtern kann.
Markt wächst, bleibt aber fragmentiert
Heute beläuft sich der Markt für tokenisierte Vermögenswerte auf rund 600 Milliarden USD. Im Jahr 2024 hat sich die Emission tokenisierter Anleihen mehr als verdreifacht und erreichte 3 Milliarden Euro, wobei Europa über die Hälfte stellte.
Dennoch bleiben die meisten Projekte klein und illiquide. Emissionen erfolgen größtenteils über private Platzierungen und werden bis zur Fälligkeit gehalten.
ESMA verwies zudem auf den begrenzten Austausch zwischen Plattformen, der die Entwicklung hemmt. Interoperabilität und regulatorische Klarheit gelten als Schlüsselfaktoren, um den Markt aus der Nische zu holen.
Rechtliche Rahmenbedingungen entscheidend
SponsoredEin zentrales Thema der Rede war das europäische DLT-Pilotregime, das Firmen erlaubt, Handels- und Abwicklungssysteme auf Blockchain-Basis mit Ausnahmen zu testen. Erste Erfahrungen zeigen, wie Verwahrung und Investorschutz in einer tokenisierten Umgebung funktionieren können. ESMA veröffentlichte dazu bereits einen Bericht mit Vorschlägen für dauerhafte Anpassungen.
Darüber hinaus spielt die Umsetzung der MiCAR-Verordnung eine wichtige Rolle. Sie schafft erstmals ein EU-weit einheitliches Regelwerk für Krypto-Dienstleister. Die gewonnenen Erkenntnisse sollen auch auf klassische Wertpapiere übertragen werden, sobald diese verstärkt tokenisiert werden.
Ein offener Punkt bleibt die Abwicklung. Da es noch keinen digitalen Euro für den Großkundenbereich gibt, nutzen Marktteilnehmer derzeit tokenisiertes Geschäftsbankgeld oder E-Geld-Token. Die EZB arbeitet an Projekten wie „Pontes“ und „Appia“, die Blockchain-Plattformen mit bestehenden Zahlungssystemen verbinden sollen.
Tokenisierte Aktien: Internationale Perspektive
Auch außerhalb Europas schreitet die Entwicklung voran. In Großbritannien haben FCA und Bank of England eine Sandbox für digitale Wertpapiere gestartet. In den USA legte die Regierung im Sommer einen Fahrplan für digitale Vermögenswerte vor, während die SEC ein „Project Crypto“ ankündigte.
Cazenave schloss mit dem Hinweis, dass Europa seine Wettbewerbsfähigkeit nur sichern könne, wenn Innovation und Stabilität im Gleichgewicht bleiben. Tokenisierung sei keine technische Spielerei, sondern habe das Potenzial, Märkte grundlegend zu verändern – vorausgesetzt, rechtliche Klarheit und Anlegerschutz stehen im Zentrum.