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Regulierung und MiCAR – Auswirkungen auf dezentrale Finanzinnovationen mit Michael Wild

7 Min.
Aktualisiert von Julian Brandalise
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Herr Wild, vielen Dank, dass Sie sich Zeit für dieses Interview nehmen. Die Verordnung über Märkte für Krypto-Assets – kurz MiCAR – markiert einen Meilenstein: Zum ersten Mal schafft die Europäische Union einen umfassenden Rechtsrahmen für Krypto-Assets, Stablecoins und andere digitale Finanzprodukte. Gerade für dezentrale Finanzinnovationen wirft die neue Regulierung jedoch viele Fragen auf: Welche Chancen entstehen? Wo liegen Herausforderungen? Und wie lässt sich die Balance zwischen Innovation und Verbraucherschutz wahren? Wir freuen uns, heute Ihre Einschätzungen dazu zu hören.

BeInCrypto: Können Sie kurz zusammenfassen, was die MiCAR-Verordnung ist und welche Ziele sie verfolgt?

    Michael Wild: MiCAR ist eine Verordnung, die klare Regeln für den Handel mit Kryptowährungen schaffen soll. Bisher hatte jedes EU-Land eigene Vorschriften, das soll sich jetzt ändern. Ziel ist es, Verbraucher besser zu schützen, Betrug zu verhindern und mehr Sicherheit in den Kryptomarkt zu bringen. Vor allem Anbieter von Kryptowährungen, Börsen oder Wallets müssen sich künftig an bestimmte Vorgaben halten und eine Lizenz bekommen. Auch Stablecoins – also digitale Währungen, die an den Euro oder andere Werte gekoppelt sind – werden strenger reguliert. Die Europäische Union will damit sicherstellen, dass der Markt fair bleibt und keine Risiken für das Finanzsystem entstehen. Gleichzeitig soll die Verordnung Firmen dabei helfen, einfacher und rechtssicher im EU-Raum Krypto-Dienstleistungen anzubieten. Zusammengefasst: MiCAR soll Ordnung beziehungsweise Harmonisierung in den EU Krypto-Markt bringen und Vertrauen schaffen – für Anbieter wie für Nutzer.

    BeInCrypto: Welche Bedeutung hat MiCAR speziell für den Stablecoin-Sektor, sowohl zentralisierte als auch dezentralisierte Projekte betreffend?

    Michael Wild: MiCAR bringt vor allem für zentralisierte Stablecoins große Veränderungen mit sich. Wer einen Stablecoin in der EU herausgeben bzw. anbieten will, etwa einen, der an den Euro gekoppelt ist, braucht künftig eine offizielle Lizenz. Dazu kommen strenge Anforderungen, etwa Rücklagen für die Stabilität, Transparenzpflichten und Berichte an die Aufsichtsbehörden.

    Für dezentrale Projekte, zu denen auch dEURO zählt, ist die Lage hinsichtlich der Regulierung unklarer, da sie derzeit nicht durch MiCAR erfasst werden. Wenn hinter einem Stablecoin keine zentrale Organisation steht, fällt er erstmal nicht direkt unter MiCAR. Aber sobald es ein Team gibt, das so einen Coin in der EU aktiv vermarktet, ist man bereits wieder auf dem regulatorischen Schirm der Aufsichtsbehörden. Bei unserer dEURO Association ist der Zweck des Vereins die Förderung des dEURO-Protokolls. Der Verein trägt zur Weiterentwicklung des Systems bei und informiert die Öffentlichkeit über geeignete Kanäle (Website, Veranstaltungen, soziale Medien, Token-Listings etc.). Der Verein kann ein Frontend entwickeln und betreiben, um den Zugang zu erleichtern, greift jedoch nicht in das System ein. Von daher gehen wir hier nicht aktiv in den Vertrieb und die Vermarktung. Das machen dann beispielsweise die regulierten Börsen, an denen dEURO gelistet werden soll.

    BeInCrypto: Wie unterscheidet MiCAR zwischen zentralen und dezentralen Stablecoins? Gibt es klare Definitionen oder bleibt Interpretationsspielraum?

    Michael Wild: MiCAR bringt vor allem für zentralisierte Stablecoins tiefgreifende regulatorische Anforderungen wie Lizenzpflicht, Rücklagen, Transparenz und Berichtspflichten. Dezentrale Projekte wie dEURO sind derzeit nicht direkt erfasst, solange keine zentrale Instanz aktiv Vertrieb und Vermarktung übernimmt. Die dEURO Association fördert das Protokoll, betreibt Öffentlichkeitsarbeit und ggf. ein Frontend zur Vereinfachung des Zugangs, greift jedoch nicht in das System ein – eine bewusste Abgrenzung zur aktiven Vermarktung, die regulierte Börsen übernehmen.

    BeInCrypto: Was sind aus Ihrer Sicht die größten Chancen, die MiCAR für dezentrale Finanzinnovationen eröffnet?

    Michael Wild: MiCAR eröffnet auch für dezentrale Finanzinnovationen große Chancen, insbesondere weil erstmals ein einheitlicher regulatorischer Rahmen für Krypto-Assets innerhalb der EU geschaffen wird. Das sorgt für mehr Rechtssicherheit und Vertrauen – nicht nur bei Nutzerinnen und Nutzern, sondern auch bei institutionellen Partnern und Dienstleistern. Projekte, die sich innerhalb dieses Rahmens bewegen oder bewusst außerhalb gewisser regulatorischer Pflichten agieren – etwa weil sie keine zentrale Instanz haben – können sich dadurch klarer positionieren. 

    Im Fall von dEURO zum Beispiel liegt der Fokus der Association auf der Förderung des Protokolls und der Information der Öffentlichkeit, nicht aber auf Vertrieb oder zentraler Kontrolle. Diese echte Dezentralität wird durch MiCAR indirekt gestärkt, da sie eine klare Abgrenzung zu zentral gesteuerten Projekten ermöglicht, die sehr viel stärker reguliert werden. Gleichzeitig erleichtert MiCAR durch die Standardisierung auch die Anbindung an regulierte Börsen und Plattformen, wodurch DeFi-Protokolle potenziell breitere Marktzugänge erhalten. So entsteht ein Umfeld, in dem dezentrale Innovation nicht eingeschränkt, sondern verantwortungsvoll gefördert werden kann.

    BeInCrypto: Wo sehen Sie die größten Herausforderungen oder Einschränkungen für dezentrale Projekte durch MiCAR?

    Michael Wild: Die größte Herausforderung für dezentrale Projekte unter MiCAR ist die unscharfe Abgrenzung, ab wann gilt ein Projekt trotz Dezentralität als regulierungspflichtig? Zudem ist MiCAR stark auf zentrale Akteure ausgelegt – mit Lizenz-, Haftungs- und Reportingpflichten, die sich schwer auf verteilte Systeme übertragen lassen. Dezentrale Projekte müssen daher sehr genau abwägen, wie sie sich organisieren und kommunizieren, um nicht unbeabsichtigt in den Anwendungsbereich zu fallen.

    BeInCrypto: Wie stark betrifft MiCAR Initiativen wie dEURO im Vergleich zu klassischen Stablecoins wie USDT oder USDC?

    Michael Wild: MiCAR betrifft zentralisierte Stablecoins wie USDT oder USDC vollumfänglich, sie brauchen künftig eine Lizenz, müssen Rücklagen halten und ständig über Reporting Bericht erstatten. Bei dEURO ist das anders, das Protokoll ist dezentral, es gibt keine zentrale Stelle, die den Stablecoin herausgibt oder vermarktet. Die Association unterstützt nur die Entwicklung und informiert – greift aber nicht ins System ein. Solange das so bleibt, fällt dEURO erstmal nicht direkt unter MiCAR, dies bestätigen auch diverse Rechtsexperten.

    BeInCrypto: Gibt es bestimmte Anforderungen (z.B. an Transparenz, Reservesicherung oder Governance), die dezentrale Stablecoins besonders beachten müssen?

    Michael Wild: Auch wenn dezentrale Stablecoins wie dEURO derzeit nicht direkt unter MiCAR fallen, sollten sie bestimmte Punkte berücksichtigen. Zum einen die Transparenz, Nutzer wollen verstehen, wie die Preisstabilität funktioniert und wie das System abgesichert ist. Bei der Reservesicherung kommt es darauf an, dass die Deckung, ob durch Krypto oder Algorithmen, nachvollziehbar und robust gestaltet ist. Und auch bei der Governance braucht es klare, möglichst dezentrale Strukturen, die im Zweifel handlungsfähig sind. Wer keine Regulierungspflichten hat, trägt umso mehr die Verantwortung, durch Offenheit und Sicherheit Vertrauen zu schaffen.

    BeInCrypto: Wie realistisch ist es, dass Projekte künftig vollständig dezentral bleiben können und trotzdem MiCAR-konform sind?

    Michael Wild: Das wird die Zeit zeigen. Ich denke, wenn man sich als dezentrales Projekt von Anfang an am gesetzlich rechtsgültigen Rahmen für zentrale Projekte orientiert, macht man nichts falsch.

    BeInCrypto: Welche Rolle spielen europäische Stablecoin-Initiativen für die digitale Souveränität Europas unter MiCAR?

    Michael Wild: Europäische Stablecoins helfen dabei, Europa im digitalen Finanzbereich unabhängiger zu machen – vor allem von US-Anbietern wie USDT oder USDC. MiCAR schafft hier einen Raum, der die Spielregeln genau definiert. Nun liegt es an der Industrie in diesem Raum wahre Alternativen zu den US-Playern aufzubauen.

    BeInCrypto: Könnte MiCAR dazu führen, dass Europa technologisch gegenüber anderen Regionen wie den USA oder Asien ins Hintertreffen gerät?

    Michael Wild: Das Risiko besteht, wenn die Regeln zu streng oder unklar für innovative Projekte sind, dann könnte es passieren, dass Entwickler und Kapital in freizügigere Regionen abwandern. MiCAR bringt zwar Rechtssicherheit, könnte aber gerade für kleinere oder dezentrale Projekte eine Hürde sein. Entscheidend wird sein, wie flexibel die Umsetzung in der Praxis gehandhabt wird.

    BeInCrypto: Wie schätzen Sie die Reaktion der breiteren Krypto-Community auf MiCAR ein – eher positiv, gemischt oder ablehnend?

    Michael Wild: Hier gibt es verschiedene Meinungen. Ich denke generell begrüßt man, dass es nun einen einheitlichen Rahmen gibt. Es wäre jedoch wünschenswert gewesen, wenn das regulatorische Umfeld mehr Raum für Wettbewerbsfähigkeit gelassen hätte.

    BeInCrypto: Welche Auswirkungen erwarten Sie konkret auf Nutzer: Wird es für Privatpersonen spürbare Änderungen geben?

    Michael Wild: Ich denke, die Anleger werden eine gewisse Sicherheit durch MiCAR erhalten, jedoch wird sich das Angebot am Markt verändern. Beispielsweise werden nicht regulierte Angebote weniger werden.

    BeInCrypto: Was raten Sie Gründern oder Entwicklern, die derzeit dezentrale Stablecoin-Projekte oder DeFi-Anwendungen in Europa planen?

    Michael Wild: Gründern und Entwicklern rate ich, von Anfang an auf echte Dezentralität zu achten –  also keine zentrale Kontrolle über das Protokoll, klare Trennung zwischen Entwicklung, Betrieb und Vermarktung. Gleichzeitig sollten sie freiwillig hohe Standards bei Transparenz, Sicherheit und Governance setzen, um Vertrauen zu schaffen und regulatorischen Risiken vorzubeugen. Dabei ist es auch wichtig, sich frühzeitig juristischen Rat einzuholen – denn wer MiCAR relevant wird, braucht schnell Klarheit, um nicht unbewusst in eine Lizenzpflicht zu rutschen.

    BeInCrypto: Wie wird sich dEURO auf die neuen Anforderungen einstellen? Gibt es Anpassungen oder neue Strategien, die Sie bereits in Planung haben?

    Michael Wild: dEURO ist so konzipiert und strukturiert, dass das Protokoll komplett dezentral am Markt agiert, sprich der/die User handeln gegen den Smart Contract, nicht gegen ein “liable Entity oder eine natürliche Person”. Wir beobachten die regulatorische Landschaft genau und werden, wenn nötig und möglich, Anpassungen vornehmen, insbesondere hinsichtlich Governance und Kommunikation wollen wir uns noch mehr von zentralen Protokollen abheben.

    BeInCrypto: Sehen Sie MiCAR als ersten Schritt in eine neue Ära regulierter DeFi-Innovationen – oder eher als Bremse für die Entwicklung?

    Michael Wild: MiCAR umfasst ja keine Dezentralität, daher denke ich, dass DeFi Produkte nicht durch MiCAR in ihrer Innovationsfähigkeit gebremst werden. Wichtig ist, dass man dies im DeFi Space jetzt nicht zum Anlass für Wild West Methoden nimmt, so dass der Regulator irgendwann dazu genötigt wird zu handeln. Die gegebene Freiheit für DeFi sollten wir alle versuchen zu erhalten.


    Vielen Dank für Ihre wertvollen Einblicke, Herr Wild.
    Gerade in einer Phase, in der Regulierung und Innovation enger zusammenrücken, sind fundierte Einschätzungen wie Ihre von großer Bedeutung. Wir sind gespannt, wie sich der Markt unter MiCAR entwickeln wird – und freuen uns, diesen Wandel weiterhin mit Ihnen im Gespräch zu begleiten.

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    Julian Brandalise absolvierte 2009 sein Bachelorstudium in Betriebswirtschaftslehre an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Sein ausgeprägtes Interesse an Blockchain und Kryptowährungen führte ihn ab 2014 zu Blockchain-Programmierkursen bei Udacity, mit einem Schwerpunkt auf Solidity. Von 2020 bis 2022 war er als Social Media Manager für den deutschen Bereich bei BeInCrypto tätig und beteiligte sich auch an verschiedenen NFT- und DAO-Projekten. Aktuell leitet er das deutschsprachige...
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