Ein Referent des Bundesministeriums des Inneren (BMI) hat eine Analyse geleakt, welches schwere Anschuldigungen gegenüber den Regierungen von Bund und Ländern erhebt. Kernaussage ist, dass die Schutzmaßnahmen gegen COVID-19 zu mehr Todesopfern führen, als sie verhindern.
Laut eigenen Aussagen hat der Mitarbeiter des Referats KM 4: Schutz Kritischer Infrastrukturen zuerst den Dienstweg ausgeschöpft, wo das Papier ungeprüft abgelehnt worden sei. Er schickte es daraufhin an verschiedene interne und externe E-Mail-Verteiler. Die vollständige Analyse liegt dem liberal-konservativen Meinungsmagazin Tichys Einblick vor.
BMI-Mitarbeiter schlägt Alarm
Der Referent wird den Regierungen von Bund und Ländern ein schlechtes Krisenmanagement und eine unzureichende Einschätzung der Gefahrenlage vor. Er behauptet, dass es sich bei der Pandemie um einen Fehlalarm handelt und vergleicht ihre gesundheitlichen Auswirkungen mit dem der Grippewelle von 2017/18. Zudem sei der Kollateralschaden, der durch die Lockdowns verursacht wird, gemessen an der Zahl der Todesopfer, wesentlich höher, als der Nutzen. Er sieht darüberhinaus lebenswichtige Infrastrukturen in Gefahr, welche durch eine “echte” Pandemie oder eine andere Bedrohung ausfallen könnten, was sich durch eine gestiegene Verletzlichkeit auf unsere Gesellschaft auswirkt. Er empfiehlt, alle Lockdown-Maßnahmen vollständig aufzuheben, um einen solchen Schaden, sowie unnötige zusätzliche Todesfälle zu verhindern.Kaum belastbare Zahlen
Dass nicht nur durch das Coronavirus selbst, sondern auch durch die weltweiten Lockdown-Maßnahmen Menschen zu Schaden kommen, ist nicht von der Hand zu weisen. Die größte akute Bedrohung für Menschenleben sieht der Referent in der Verschiebung notwendiger Operationen. Er schreibt:Die voraussichtliche Sterberate lässt sich nicht seriös einzuschätzen; Vermutungen von Experten gehen von Zahlen zwischen unter 5.000 und bis zu 125.000 Patienten aus, die aufgrund der verschobenen OPs versterben werden/schon verstarben.Auch in anderen Bereichen spricht das Papier Probleme an, die zu vermeidbaren Todesfällen führen, zum Beispiel durch verzögerte Behandlungen bei Krebs, Herzinfarkten und Schlaganfällen, durch Versorgungsausfälle in der Kranken- und Altenpflege, sowie durch Suizide. Dazu kommen weitere gesundheitliche Schäden durch reduzierte Kontakte, vor Allem bei alten oder pflegebedürftigen Menschen, behandlungsbedürftige psychische Störungen und häusliche Gewalt. Das größte langzeitliche Risiko liegt jedoch in den wirtschaftlichen Folgeschäden:
Eine starke Wirtschafts- und Gesellschaftskrise mit eine negativen Entwicklung des BIP um 8 bis 10 Prozent im ersten Jahr, in der das Wohlstandsniveau längerfristig sinkt, wird nicht nur die Lebensqualität senken, sondern auch die Lebenserwartung der Bevölkerung. […] Demnach könnte befürchtet werden, dass durch die bereits bis heute aufgelaufenen Regierungsmaßnahmen in der Coronakrise potentielle Lebenszeit im Umfang von bis zu mehreren Millionen Lebensjahren der Bevölkerung Deutschlands vernichtet wurde.Belastbare Zahlen gibt es dafür nicht. Die wenigen Zahlen, die in dem Papier genannt werden, basieren auf Modellrechnungen mit einem hohen Unsicherheitsfaktor. Dem gegenüber stehen die Todeszahlen durch COVID-19. Laut offizieller Statistik sind dies weltweit bereits über 280.000, wobei nur 7.569 auf Deutschland entfallen. Auch diese Zahlen sind mit einer hohen Unsicherheit behaftet. In die Statistik gehen alle Verstorbenen ein, die positiv auf COVID-19 getestet wurden. Eine Differenzierung, ob diese tatsächlich durch das Coronavirus, oder an bereits existierenden Vorerkrankungen starben, wird dabei nicht vorgenommen. Weiterhin existieren keine genauen Zahlen darüber, wie weit sich das Coronavirus bereits in der Bevölkerung ausgebreitet hat. Dies kann dazu führen, dass die Sterblichkeitsrate deutlich zu hoch eingeschätzt wird, da vorwiegend schwere Fälle auf das Coronavirus getestet werden. Aufgrund der Eigenschaften des Coronavirus ist es nahezu unmöglich, eine objektive Aussage zu treffen. Die kürzlich veröffentlichte Heinsberg-Studie gibt an, dass rund 1,8 Millionen Deutsche entweder das Coronavirus, oder bereits Antikörper in sich tragen. [Quarks] 22 Prozent der Infizierten zeigen dabei keinerlei Symptome. Es muss angemerkt werden, dass die Heinsberg-Studie einige methodische Mängel hat. Auch wird kritisiert, dass die Wissenschaftler hinter der Studie zu früh an die Öffentlichkeit gegangen sind. Jedoch deckt sie sich mit der Einschätzung des Robert-Koch-Instituts. Dieses geht von einer Dunkelziffer zwischen 1,7 und 3,3 Millionen Menschen aus. Eine Studie im Kreis Tierschenreuth soll weiteres Licht auf die Sache werfen. [BR] Insgesamt verdichten sich jedoch die Hinweise darauf, dass das Gefahrenpotenzial des Coronavirus überschätzt wird.
Die Personen hinter dem Whistleblower
Der BMI-Referent, der die Analyse veröffentlicht hat, ist Teil der Referats KM 4: Schutz Kritischer Infrastrukturen. Tatsächlich befasst sich sein Bericht auch in Teilen mit diesem Thema. Er handelte daher selbst innerhalb seiner Kompetenzen. Tichys Einblick schreibt:Er leitete das Referat im Bundesinnenministerium („Krisen-Management“), das den Auftrag hat, sich eine eigene Bewertungskompetenz aufzubauen. […] Es ist also eine Art interne Kontrolle durch eine Arbeitseinheit, die die sonstige Arbeit des Ministeriums und seiner Beamten bewerten soll.Der Referent verschickte seine Analyse mit dem Briefkopf des BMI, was den Anschein einer offiziellen Verlautbarung erweckte. Dem widerspricht das BMI. Es schreibt, dass die Analyse nicht die offizielle Meinung des Bundesministeriums widergibt:
Der Mitarbeiter war weder am Krisenstab beteiligt, noch beauftragt oder autorisiert eine solche Analyse zu erstellen oder zu veröffentlichen. Sie gibt seine private Auffassung wieder, nicht die des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat.BeInCrypto fragte beim Bundesministerium an, welche Funktionen und Kompetenzen der Mitarbeiten im einzelnen hatte. Das BMI verwies auf ihre offizielle Pressemitteilung und fügte dem nichts weiter hinzu. Diese gibt an, dass der Mitarbeiter außerhalb seiner sachlichen Zuständigkeit und ohne Autorisierung des BMI gehandelt habe. Die Verwendung eines offiziellen Briefkopfes des BMI bei der Veröffentlichung der Analyse sei inakzeptabel. Der Mitarbeiter wurde zwischenzeitlich beurlaubt. Bei der Erstellung der Analyse hat der Referent mit dem aus Funk und Fernsehen bekannten Allgemeinmediziner Dr. Gunter Frank zusammengearbeitet. Auf dem konservativen Blog Achse des Guten beschreibt er, wie es zu dieser Zusammenarbeit kam und nennt einige weitere Personen, die an der Analyse beteiligt waren. Dabei handelt es sich um Sucharit Bhakdi (emeritierter Professor der Uni Mainz und Facharzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie), Gunnar Heinsohn (Wirtschaftswissenschaftler und emeritierter Professor für Sozialpädagogik) und Stefan Hockertz (Immuntoxikologe). Etwas aus dem Rahmen fällt Harald Walach, der Gastprofessor an der umstrittenen Universität Witten-Herdecke und ein Vertreter der alternativmedizinischen Lehre der Antroposophie ist. Mit Ausnahme Walachs wirkten an der Ausarbeitung der Analyse ausschließlich Personen mit einer beeindruckenden akademischen Laufbahn mit, die allerdings häufiger durch kontroverse Äußerungen auffielen. Dass es sich dabei um Akademiker handelt, die entweder bereits emeritiert sind, oder im Fall von Hockertz das universitäre Umfeld anderweitig verlassen haben, ist bezeichnend für den Konformitätsdruck an deutschen Universitäten. In der Regel werden eher angepasste Wissenschaftler gefördert, während Freigeister und Querdenker ausgesondert werden. Oft trauen sich Professoren erst dann zu, ihre eigene Meinung zu äußern, wenn ihre berufliche Zukunft gesichert ist. Jedenfalls haben die meisten der Wissenschaftler, die an dem Bericht mitgeschrieben haben, durch ihr Wirken die Fähigkeit bewiesen, sich zu den wirtschaftlichen und gesundheitlichen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie zu äußern.
Krisen-Gewinnler
Dass Verschwörungstheoretiker in diesen Zeiten Hochkonjunktur haben, ist nichts neues. Mit ihren wirren Theorien zielen sie jedoch an dem eigentlichen Kernproblem vorbei, nämlich der Tatsache, dass Regierungen aus akuten Krisen in der Regel gestärkt hervorgehen. Es besteht daher einer große Gefahr darin, die Auswirkungen von COVID-19 entweder zu überschätzen, oder zu unterschätzen. Dabei haben Regierungen einen starken Anreiz, mit übertriebenem Alarmismus zu reagieren, um beispielsweise autoritäre Maßnahmen wie eine massenhafte Überwachung der Bevölkerung durchsetzen zu können. Auch in Deutschland ist die Gefahr eines Machtmissbrauchs sehr real, da die Regierungsparteien seit Beginn der Krise eine höhere Akzeptanz in der Bevölkerung erlangen konnten. Die größten Gewinner der Krise sollten hingegen die Zentralbanken sein, welche die Wirtschaft durch jahrelange Niedrigzinspolitik und Gelddruck an den Rand des Ruins getrieben haben. Durch die Pandemie können diese ihre Hände in Unschuld waschen und den Gelddruck munter fortsetzen. Je schlimmer die wirtschaftliche Lage wird, desto besser für die Zentralbanken. Dazu kommt, dass sich der Großteil der wirtschaftlichen Auswirkungen der Lockdowns erst in der Zukunft zeigen werden. Die Anreize, Lockdowns auch zu Lasten der Bevölkerung aufrecht zu erhalten, um einen kurzfristigen Vertrauensgewinn zu erzielen, sind daher enorm. Auf oppositioneller Seite, wie der AfD und der neu gegründeten Partei Widerstand2020 spielt sich natürlich das genaue Gegenteil ab. Diese haben einen Anreiz, die Gefährlichkeit der Pandemie herunterzuspielen, um ihre eigene machtpolitische Position zu stärken. Die Analyse des Whistleblowers muss daher ebenso kritisch betrachtet werden, wie die offiziellen Verlautbarungen, zumal die ausgewählten Experten vermutlich auch nicht hundertprozentig objektiv waren. In jedem Fall zeigt der Bericht auf, wie schlecht die Bundesregierung auf Kritik reagiert. Gunter Frank schreibt dazu:Wie es in diesem Papier steht, existiert kein funktionierender Alarmknopf mehr, der die Politik effektiv warnt, wenn sie Gefahr läuft, sich auf einem Irrweg kolossal zu verrennen.Die Aussage, COVID-19 sei nicht gefährlicher, als eine Grippe, die Rekation der Bundesregierung gar ein “Fehlalarm” sollte in Zweifel gezogen werden. Dass auch durch die Lockdowns Menschen zu Schaden kommen, ist jedoch eine Tatsache. Fest steht, dass die Bundesregierung Menschenleben in der Hand hat. Sowohl eine Überschätzung, als auch eine Unterschätzung der Gefährlichkeit von COVID-19 führt zu vermeidbaren Todesfällen. Der Vorwurf, dass die Bundesregierung dies zu ihrem eigenen Vorteil billigend in Kauf nimmt, steht im Raum. Der von hochrangigen Experten verfasste Bericht liegt nun den Regierungen des Bundes und der Länder vor. Es liegt nun an ihnen, entweder den Empfehlungen der Analyse zu folgen und die Lockdown-Maßnahmen mit sofortiger Wirkung aufzuheben, oder mit einer eigenen Analyse nachzuweisen, dass die Aufrechterhaltung der Maßnahmen tatsächlich Leben schützt. Tun sie das nicht, so wäre dies ein handfester Beweis, dass sie nicht im Sinne der Bevölkerung handeln.
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Tobias W. Kaiser
Tobias verfügt über einen Bachelorabschluss in angewandter Informatik, sowie einen Masterabschluss in Kognitionswissenschaft mit Fokus auf kognitiver Psychologie und künstlicher Intelligenz. Während seiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Gent nahm er an einem Forschungsprojekt in Verbindung mit einem großen französischen Telekommunikationsanbieter teil. Hierbei erforschte er die Anwendung von Spieltheorie auf den gemeinschaftlichen Ausbau von...
Tobias verfügt über einen Bachelorabschluss in angewandter Informatik, sowie einen Masterabschluss in Kognitionswissenschaft mit Fokus auf kognitiver Psychologie und künstlicher Intelligenz. Während seiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Gent nahm er an einem Forschungsprojekt in Verbindung mit einem großen französischen Telekommunikationsanbieter teil. Hierbei erforschte er die Anwendung von Spieltheorie auf den gemeinschaftlichen Ausbau von...
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