Entwicklungsländer werden häufig genannt, wenn es um Anwendungsfälle für dezentralisierte Finanzen (DeFi) oder Kryptowährungen wie Bitcoin geht. Allerdings gibt es eine große Differenz zwischen den Theorien und der tatsächlichen Entwicklung.
Entwicklungsländer erweisen sich oft als Standorte mit beeindruckendem Innovationspotential. Sei es, weil eine hohe Notwendigkeit zur Verbesserung besteht oder aufgrund eines riesigen Pools an Talenten, der oft in diesen Ländern vorhanden ist.
Untersuchungen zeigen, dass der Nahe Osten, Afrika und Asien zu den am schnellsten wachsenden Wirtschaftsräumen gehören. Dabei sind nicht nur Mikrounternehmen beteiligt, sondern besonders große Technologieunternehmen, die sich auf internationaler Ebene behaupten wollen. Bei Blockchain und Kryptowährungen ist das nicht anders. Und gerade Entwicklungsländer liefern häufig viele Anwendungsfälle für diese Technologien.
Viele Menschen in den USA und Europa sehen Bitcoin als die nächste globale Währung an. Im Gegensatz dazu haben Gemeinschaften in Afrika, Asien und Lateinamerika bereits eigene Token eingeführt.
In Bezug auf die Krypto-Akzeptanz sind die Entwicklungsländer weit voraus. Eine Umfrage von Statista aus dem Jahr 2020 zeigt, dass Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen viel häufiger in Kryptowährungen investieren und diese halten. So gaben beispielsweise in Nigeria 34% der Befragten an, Kryptowährungen zu besitzen oder zu nutzen, auf den Philippinen waren es 20%. Im Vergleich dazu liegen Deutschland und Japan bei nur 5% bzw. 4%.
Was die Entwicklungsländer brauchen
Bei Entwicklungsländern liegt der Fokus auf dem allgemeinen Wachstum. Denn von ihnen wird erwartet, dass sie wachsen, um den Standards der “ersten Welt” zu entsprechen. Was vielen Entwicklungsländern jedoch fehlt, ist der Zugang zu Kapital. Das liegt oft ganz einfach an der hohen Arbeitslosigkeit. Aber auch die Erwerbstätigen können oft nicht ohne weiteres auf ihr Geld zugreifen, es verteilen oder ausgeben. Dies kann an volatilen, lokalen Währungen, einer fehlenden Industrie in kleineren Städten oder ländlichen Gebieten oder an regionaler Instabilität liegen.
“Die Blockchain-Technologie kann relevante, lokale Probleme in Entwicklungsländern lösen. Und die bereits bestehenden Rahmenbedingungen können die Umsetzung dieser Verbesserungen beschleunigen”, sagt Johannes Schweifer, Mitbegründer und CEO von CoreLedger. Vom regulatorischen Standpunkt aus betrachtet, ist dies bereits offensichtlich. Während sich die Vereinigten Staaten bei der Regulierung von Krypto und Blockchain im Kreis gedreht haben, hat El Salvador in der Zwischenzeit Bitcoin als gesetzliches Zahlungsmittel eingeführt.
Dies ist zwar ein Extremfall, aber die Suche nach Lösungen jenseits von bislang gescheiterten Institutionen ist auch für Entwicklungsländer von Interesse. Dies wird durch die Kritik an IWF und Weltbank deutlich, vor allem in Ländern, in denen die aufgenommenen Kredite die Bürger letztendlich nur zusätzlich belastet haben. In Kenia gab es zum Beispiel Proteste gegen ein IWF-Darlehen, weil die Gelder oft durch korrupte Politiker veruntreut wurden.
Ohne diese großen Geldgebern müssen die Gemeinschaften jedoch alternative Liquiditätsquellen finden. Hier kommen Kryptowährungen ins Spiel.
Förderung von bereits bestehenden Projekten
Wenn es um Projekte auf der Blockchain geht, sind es vor allem lokale Start-ups, die innovativ sind. Auch ohne große Finanzspritzen von internationalen Konzernen gelingt es der Krypto-Community häufig eigenständig Projekte zu unterstützen. Entweder durch technologische Unterstützung, Aufklärungsarbeit oder auch Fundraising.
Ein Beispiel dafür ist das Förderprogramm von CoreLedger. Es zielt darauf ab, Projekte bei der Tokenisierung zu unterstützen. Das Unternehmen hatte bereits Erfolg in Argentinien. Dort tokenisierten Landwirte ihre Sojabohnen mit dem Agrotoken, um die Liquidität und den Absatzmarkt zu erweitern.
“Vor ein paar Jahren lag der Schwerpunkt bei der Blockchain-Technologie auf ihrem revolutionären Potenzial. So waren die beliebtesten Themen dieses Wandels sogenannte Impact-Initiativen. Das heißt die finanzielle Eingliederung von Menschen ohne Bankverbindung, die Bereitstellung digitaler Identitätsoptionen für Migranten und natürlich die Öffnung der lokalen Wirtschaft für die Welt. Ein Großteil des öffentlichen Interesses hat sich von dieser Art von Lösungen wegbewegt und sich der Spekulation gewidmet. Wir sind jedoch nach wie vor der Meinung, dass die Blockchain-Technologie eine Menge Gutes bewirken kann”, sagt Schweifer.
Genau hier will CoreLedger investieren. Mit Menschen vor Ort, die Unterstützung brauchen, um Projekte zu entwickeln und Gemeinschaften und Volkswirtschaften unterstützen. Durch eine Simulation in einer Sandbox können die Teilnehmer des Programms ihre Anwendungsfälle testen. So wird sichergestellt, dass sie tatsächlich funktionieren und nicht nur spekulativ sind.
Ein weiteres Beispiel für ein ähnliches lokales Projekt ist der Finka Token. Er unterstützt Viehzüchter in Bolivien bei der Tokenisierung ihrer Vermögenswerte. In diesem Fall sind es Kühe. Regionale und externe Investoren können sich beteiligen und die Landwirte unterstützen, indem sie den Token kaufen. Dies alles geschieht auf der Blockchain.
Bitcoin und die Township-Wirtschaft in Südafrika
Allerdings unterstützen sich nicht alle Projekte direkt gegenseitig. Einige steuern lediglich neue Ideen hinzu. Dies ist in Südafrika der Fall, wo ein Projekt die Verwendung und Annahme von Bitcoin in den Townships fördert. Hermann Vivier wurde durch das Bitcoin Beach-Projekt in El Salvador inspiriert. Daraufhin führte er Bitcoin in Surfschulen ein, die im Rahmen seiner gemeinnützigen Organisation The Surfer Kids arbeiten. Hermann Vivier erklärt:
“Ich habe den Juni, Juli und August 2021 damit verbracht, die Surflehrer in allen Fragen rund um Bitcoin zu schulen. Mittlerweile arbeiteten sie daran, Geschäfte im Township an Bord zu holen, die Bitcoin als Zahlungsmethode für Lebensmittel akzeptieren würden.”
“Wir begannen, den Trainern der Surfer Kids einen kleinen Teil ihres Gehalts in Bitcoin zu zahlen. Diesen Teil haben sie dann für den Kauf von Lebensmitteln im Township-Laden ausgegeben”, fügte Vivier hinzu.
Bislang hat das Projekt mit dem Namen Bitcoin Ekasi drei Geschäfte einbezogen, in denen die Trainer ihre BTC ausgeben. Für Vivier bietet der Bitcoin den Menschen in einkommensschwachen Regionen die Möglichkeit, zu sparen, zu investieren und die eingefahrenen Ansichten und Vorurteile gegenüber Finanzen zu überwinden.
“Eine der wichtigsten Lehren aus dem Bitcoin-Beach-Projekt ist die Erkenntnis, dass es ein Irrglaube ist, zu denken, dass arme Menschen nicht am Sparen interessiert sind. In Wirklichkeit hatten einkommensschwache Menschen einfach noch nie einen einfachen Zugang zu einer effizienten Form des Sparens”, meint Vivier.
Fiat-Geld ist ein schmelzender Eiswürfel. Selbst wenn man nicht weiß, was Inflation ist oder woher sie kommt, sind die Auswirkungen nirgendwo deutlicher zu spüren als in Gemeinschaften, in denen die Menschen von der Hand in den Mund leben. Von Tag zu Tag, von Scheck zu Scheck.
Lokale Wirtschaft durch Gemeinschaftswährungen stärken
Diese Idee des “melting fiat” ist in vielen Ländern zu beobachten. Ein Blick nach Kenia zeigt, dass der kenianische Schilling zwar nicht extrem volatil ist, aber dennoch an Wert verloren hat. Darüber hinaus ist der Zugang zu Bargeld und das Sparen vor allem in ländlichen Gebieten nur schwer möglich.
Hier will das Projekt Grassroots Economics helfen und die lokale Wirtschaft durch Gemeinschaftswährungen stärken.
Obwohl diese Währungen nicht auf der Blockchain basieren, leisten sie dieselbe Art von Unterstützung, auf die andere Krypto-Projekte hinarbeiten.
Ziel ist es, Gemeinschaften vor Geldmangel zu schützen und Handel und Investitionen anzuregen. Infolgedessen könnten die Menschen Unternehmen aufzubauen und für Waren und Dienstleistungen bezahlen. Dies bringt zudem eine höhere Marktstabilität mit sich.
Warum wir Entwicklungsländern mehr Aufmerksamkeit schenken sollten
Europa, USA und China sorgen zwar mit ihren Krypto-Nachrichten für Schlagzeilen, aber ein Großteil davon hängt mit dem aktuellen Auf und Ab des Marktes zusammen. In den Entwicklungsländern ist der Einsatz der neuen Technologien oft von praktischem Nutzen. Beispielsweise werden grenzüberschreitende Überweisungen von Migranten in Länder mit geringerem Einkommen in viel größerem Umfang genutzt als in der “entwickelten” Welt.
“Unserer Erfahrung nach gibt es in den Entwicklungsländern auch viele kreative, praktische Anwendungen für die Blockchain-Technologie, die über Spekulationen hinausgehen”, sagt Schweifer. “Wir glauben, dass die Blockchain-Technologie ein integraler Bestandteil der Art und Weise sein wird, wie wir in einer zunehmend digitalen und globalisierten Welt Geschäfte machen. Entwicklungsländer werden dadurch ebenfalls in hohem Maße von der Technologie und dem Know-how profitieren.”
Hinzu kommt, dass diese Volkswirtschaften nach Wegen suchen, um zu den derzeitigen Kapital-Supermächten aufzuschließen. Und die alten Industrien erweisen sich als wenig hilfreich, um die Volkswirtschaften der unteren und mittleren Einkommensgruppen auf die nächste Stufe zu heben. Diese neuen Technologien und Finanzprozesse könnten jedoch die nächste “industrielle Revolution” sein.
“Blockchain-Lösungen, Kryptowährungen und DeFi haben es in den “entwickelten” Ländern jedoch aufgrund von Politik und alten Vorschriften oft schwer, sich durchzusetzen. In Entwicklungsländern haben diese Lösungen jedoch die Chance, direkt einen Sprung nach vorn zu machen. Für jeden, der die Möglichkeiten dieser Technologie erkennt, liegt es auf der Hand, diese Initiativen so zu unterstützen, dass sie eine echte Wirkung haben können”, sagt Schweifer.
Das Risiko zu großer Technologie-Versprechungen
Auch wenn aktuell viele Innovationen und Verbesserungen im Gespräch sind, müssen neue Technologien nicht immer die Lösung sein. Denn die Tokenisierung von Vermögenswerten für eine Gemeinschaft mag wertvoll erscheinen, aber kann auch nicht wie erhofft funktionieren, wenn nicht alle Faktoren berücksichtigt werden.
Ohne die Berücksichtigung der sozioökonomischen Faktoren, die in jedem Umfeld eine Rolle spielen, wird die Technologie denjenigen nämlich nicht helfen, die sie letztendlich erreichen soll. Deshalb ist die Betonung lokaler, gemeinschaftsorientierter Unterstützung und Investitionen so wichtig und darf nicht übersehen werden.
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