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Wie viel Marx steckt in der Blockchain Technologie?

6 min
Aktualisiert von Tobias W. Kaiser
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IN KÜRZE

  • Zwei schottische Forscher untersuchen in einem philosophischen Paper Kryptowährungen aus einer marxistischen Sichtweise.
  • Die Autoren sehen den Hype um Blockchain-Technologie lediglich als eskapistische Phantasie.
  • Tatsächlich könnten Blockchains eine kapitalistische Arbeitswelt schaffen, der sich auch Marxisten freiwillig anschließen.
  • promo

Es gibt nach wie vor viele Debatten darüber, ob Kryptowährungen und Blockchain-Technologie marxistischen, oder kapitalistischen Ideen dienen. Ein philosophisches Paper betrachtet Blockchain-Technologie durch eine marxistische Linse.
Das Paper wurde von Dr. Devraj Basu, Dozent für Rechnungs- und Finanzwesen an der Strathclyde University und Dr. Jamie Gabbay, Assistenzprofessor für Informatik an der Heriot-Watt University auf dem Preprint-Server arXiv unter dem Stichwort Computer und Gesellschaft veröffentlicht.

Eine Geschichte des Fehlschlags

Als erstes fällt auf, dass die Autoren in ihrer Betrachtung bezüglich Blockchain-Technologie eine außergewöhnlich zynische Haltung einnehmen. Ob dies tatsächlich die Meinung der Autoren wiederspiegelt, oder lediglich aufgrund der Betrachtungsweise durch eine marxistische Linse zustande kommt, bleibt allerdings offen. Das zweite Kapitel des Papers hat den Titel “Ein Jahrmarkt der Inkompetenz” und listet einige Beispiele von Krypto-Projekten, die aufgrund von mangelndem Sachverstand bei der Programmierung gescheitert sind. Dabei handelt es sich zum Beispiel um einige der frühesten Krypto-Börsen. Die Börse Bitomat wurde beispielsweise auf Amazon-Servern gehostet, deren Festplatte nach einem Neustart automatisch gelöscht wurden, wodurch im Jahr 2011 17.000 BTC verloren gingen. Auch der allseits bekannte Hack der Börse Mt. Gox mit einem Gesamtschaden von 850.000 BTC findet sich in der Liste. Als jüngstes Beispiel führen die Autoren den Skandal um die kanadische Handelsplattform QuadrigaCX an. Die Autoren fragen, wie es Blockchain-Technologie nach einem Jahrzehnt des Fehlschlags immer noch schafft, so viel Hype und Interesse von Investoren auf sich zu ziehen. Im Gegensatz zu marxistischen Wirtschaftssystemen ist Blockchain-Technologie darauf ausgerichtet, Rückschläge wie Börsenhacks wegzustecken, ohne für Außenstehende einen größeren Schaden zu verursachen. Man könnte daher ebenso fragen, warum nach über einem Jahrhundert der andauernden Fehlschläge, technologische und wirtschaftliche Entwicklungen immer noch anhand marxistischer Theorien analysiert werden.

Grundfalsches Weltbild

Wie alle marxistischen Analysen zeugt auch das vorliegende Paper von einer grundlegend falschen Weltsicht. Diese stützt sich auf eine strikte Trennung zwischen Arbeit und Kapital, wobei die Arbeiterklasse und Kapitalisten diametral entgegengesetzte Interessen haben. Die Möglichkeit, dass Arbeiter selbst Kapital anhäufen und gewinnbringend anlegen können, kommt in dieser Betrachtung nicht vor. In der westlichen Zivilisation des 21. Jahrhundert gibt es so etwas wie “die Arbeiterklasse” im marxistischen Sinn nicht mehr, da jeder Arbeitnehmer auch mit wenig Einkommen Rücklagen bilden und diese gewinnbringend anlegen kann. Nicht wenige Erfolgsgeschichten eines Aufstiegs in die Mittel- und Oberschicht beginnen genau damit. Besonders durch Blockchain-Technologie und DeFi werden Investitionsmöglichkeiten auch Menschen zugänglich, welche bislang von diesen Anlageformen abgeschnitten waren. Insofern verwundert die folgende Aussage der Autoren sehr:
Ein einfacher Test, die Balance der Kräfte zwischen Arbeit und Kapital zu bestimmen, liegt in der Betrachtung der Inflation:
  • Ist die Inflation hoch, werden Arbeiter stärker und können noch höhere Löhne einfordern.
  • Ist die Inflation niedrig, wird das Kapital stärker und kann die Löhne drücken.
Zwar steigen unter hoher Inflation auch die Löhne (wie alle Preise), allerdings kann sich der einfache Arbeiter dann von seinem Lohn auch entsprechend weniger kaufen. Durch den Cantillon-Effekt werden Arbeitnehmer durch die Inflation zusätzlich benachteiligt. Ihnen bleibt dadurch am Ende des Monats weniger Geld übrig, um Rücklagen zu bilden.

Hinkende Vergleiche

Die Autoren vergleichen Blockchain-Technologie mit den eskapistischen Fantasien verschiedener Jahrzehnte. Darunter findet sich die christlich-konservative Mentalität der 50er und 60er und die antikapitalistische Hippie-Mentalität der 70er. Dank dem wirtschaftlichen Aufstieg der Baby-Boomer seit den 80ern hielt der Individualismus Einzug in die Popkultur. Mit Madonna und Arnold Schwarzenegger wurden Selfmade-Millionäre zu Ikonen eines neuen Kapitalismus. Heute versprechen uns SciFi-Serien wie Star Trek die Lösung unserer Probleme durch Technologie. In diesem Kontext verorten die Autoren Blockchains, erneut mit zynischen Worten:
Phantasien der Flucht in ein goldenes Zeitalter sind offensichtlicher Unsinn und selbst ihre Vertreter, so mutwillig geblendet sie auch sein mögen, sind sich dessen bewusst […]. Hierneben versprechen Kryptowährungen einen Ausweg, der keine offensichtlich größere Phantasie ist, als alles andere ist. Deshalb erholte sich Bitcoin ein um das andere mal von Desastern. Deshalb fließen weiter Forschung und Investitionen in die Blockchain-Technologie, in dem Versuch, sie zum Funktionieren zu bringen.
Laut den Autoren birgt Bitcoin keine nennenswerten Vorteile gegenüber Fiatgeld:
Tatsächlich ist Bitcoin nicht anonym. Das Muster der Bitcoin-Besitzer gleicht dem anderer Kapitalanlagen und Bitcoins sind volatil, können gestohlen werden und Transaktionen gestalten sich schwierig. Fiatwährungen teilen sich viele dieser Features: Sie sind auch nicht anonym, ungleich verteilt, volatil und können gestohlen werden. Libertäre legen hierbei großes Augenmerk auf den institutionellen Diebstahl durch Inflation. Es ist unklar, welche Vorteile der um sich greifende Diebstahl von Kryptowährungen durch Hacker bringt, aber zumindest geschieht er nicht von staatlicher Seite.
Immerhin, dem Diebstahl durch Hacker kann man sich entziehen, indem man seine privaten Schlüssel sicher aufbewahrt. Wer sich hingegen dem Diebstahl durch Steuern und Inflation entziehen will, macht sich häufig strafbar.

Blockchain-Technologie: Nur eine eskapistische Fantasie?

Auch der Behauptung, dass Blockchain-Technologie, mit Ausnahme von Bitcoin und Ethereum als Wertspeicher, keine nachgewiesenen Anwendungsfälle hat, kann widersprochen werden. Blockchains haben genau einen Anwendungsfall und dieser liegt darin, Vertrauensverhältnisse unnötig zu machen. Kryptowährungen als Wertspeicher haben bewiesen, dass Blockchains diese Aufgabe ausgezeichnet erfüllen. Alle weiteren Anwendungsgebiete von Blockchain-Technologie, welche derzeit erforscht und von einigen Unternehmen bereits profitabel eingesetzt werden, sind lediglich spezifische Umsetzungen dieses einen Anwendungsfalls. In einer Fußnote schreiben die Autoren:
[…] Smart Contracts, obwohl interessant (besonders für einen Logiker/Programmierer wie den zweiten Autor), sind noch keine nachgewiesene Funktionstätigkeit.
Bei dieser Aussage stellt sich die Frage, wie der Autor eine nachgewiesene Funktionstätigkeit definiert. Muss sie dafür in industriellem Maßstab angewendet werden? Müssen sie dafür frei von Programmierfehlern und Sicherheitslücken sein? Nimmt man beide Definitionen zusammen, gibt es auf der Welt keine einzige Software mit einer nachgewiesenen Funktionstätigkeit. Die Vielzahl an funktionstüchtigen Smart Contracts zeigt, dass diese exakt gemäß ihrer Programmierung funktionieren, einschließlich aller Bugs und Exploits, die den Entwicklern verborgen geblieben sind. Aus genau diesem Grund legen die Entwickler von Smart Contracts und ihren Programmiersprachen heute einen sehr großen Wert darauf, formell zu beweisen, dass diese exakt das tun, was sie auch tun sollen.

Wäre Marx heute ein Bitcoiner?

Die Autoren des Papers sind der Meinung dass Karl Marx Kryptowährungen zumindest vom Prinzip her befürwortet hätte. Immerhin liegt Proof of Work als Konsensmechanismus nahe an der marxistischen Idealvorstellung, dass die Arbeitende Klasse selbst über ihre Produktionsmittel verfügt. Diejenigen, die Arbeit in Form von Hashpower in das Netzwerk stecken, erhalten eine entsprechende Vergütung. Doch auch das kann wirtschaftliche Gesetzmäßigkeiten nicht außer Kraft setzen. Die Anschaffung und der Betrieb von Mining-Hardware kostet Geld. Wer viel Geld hat, kann damit auch eine große Hashpower anhäufen und damit noch mehr Geld verdienen. Unter Proof of Stake als Konsensmodell sieht es nicht besser aus, da hier das Kapital selbst als Grundlage dafür dient, neues Kapital zu erwirtschaften. Die Lösung, um marxistische Ideale mit Blockchain-Technologie kompatibel zu machen, könnte in alternativen Verteilungsmodellen für Tokens liegen. Neben den Airdrop- und Bounty-Programmen, welche von vielen Blockchain-Projekten ins Leben gerufen werden, seien hier der Aragon Court und Free TON als Beispiele angeführt. Aragon schafft eine dezentrale Gerichtsbarkeit, in der die Besitzer von ANJ-Tokens über zivile Streitfälle urteilen. Free TON ist der dezentrale Ableger des untergegangenen Telegram Open Network und verteilt Tokens an alle Nutzer, welche sich sinnvoll an dem Aufbau des Netzwerks beteiligen. Und dennoch verhalten sich diese Projekte ausschließlich nach den Gesetzmäßigkeiten des freien Marktes.

Dezentrale Ideologie

In ihrer Deutschen Ideologie beschreiben Marx und Engels, dass es in der kommunistischen Gesellschaft möglich sein soll,
morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu betreiben [und] nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne jemals Jäger, Fischer, Hirt, oder Kritiker zu werden.
Für einen Selbstständigen, der sein Geld ausschließlich mittels Blockchains verdient, hört sich das schon sehr vertraut an. Vielleicht liegt der endgültige Sieg des Kapitalismus über den Marxismus darin, eine Arbeitsumgebung zu schaffen, in der sich Marxisten wohlfühlen, ohne dabei die freie Marktwirtschaft aufzugeben. Dank Blockchain-Technologie ist es bereits heute möglich morgens zu schreiben, nachmittags zu programmieren, abends zu handeln und nach dem Essen zu urteilen, ohne jemals Autor, Programmierer, Trader, oder Richter zu werden. Für alle diese Tätigkeiten wird man bezahlt und zwar mit Produktionsmitteln, welche man bei Bedarf verkaufen kann. Dass der Kapitalismus nicht von sich aus zugrunde geht, wie es Marxisten postulieren, hat die Zeit bereits gezeigt. Im Gegenteil: Durch Blockchain-Technologie werden die Barrieren zwischen Arbeitern und Kapitalisten eingerissen. Ob wir mittels Blockchain-Technologie ein kapitalistisches Wirtschaftssystem schaffen können, dem sich auch Marxisten aus freiem Herzen anschließen, ist jedoch fraglich.
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Tobias W. Kaiser
Tobias verfügt über einen Bachelorabschluss in angewandter Informatik, sowie einen Masterabschluss in Kognitionswissenschaft mit Fokus auf kognitiver Psychologie und künstlicher Intelligenz. Während seiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Gent nahm er an einem Forschungsprojekt in Verbindung mit einem großen französischen Telekommunikationsanbieter teil. Hierbei erforschte er die Anwendung von Spieltheorie auf den gemeinschaftlichen Ausbau von...
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