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Bitcoin-Epochen Teil 2: Eine dezentrale Utopie

5 min
Aktualisiert von Alex Roos
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IN KÜRZE

  • Die nächsten Jahre werden durch den Aufbau des dezentralen Finanzwesens geprägt sein.
  • Im Anschluss daran steht einer Massenadoption von dezentralen Technologien nichts mehr im Weg.
  • Letztendlich werden dezentrale Technologien eine vollständigen Umbau unserer Gesellschaft anstoßen.
  • promo

In Teil 1 dieses Artikels haben wir eine kleine Rückschau auf die vergangenen drei Bitcoin-Epochen geliefert.
Tatsächlich können wir in der Kryptowirtschaft insgesamt so etwas wie “Epochen” ausmachen, die durch bestimmte Entwicklungen geprägt sind und deren Übergang, mehr oder weniger, mit den Halbierungen der Mining-Belohnungen bei Bitcoin (BTC) alle vier Jahre zusammenfallen. Werfen wir mal einen kleinen Blick darauf, wie denn die nächsten Epochen so aussehen könnten.

Die Stunde Null

In Bitcoins Halbierungsereignis vor zwei Tagen haben wir etwas gesehen, was es seit der Erschaffung der Bitcoin-Blockchain nicht mehr gab: Eine Times-Schlagzeile über eine grassierende Finanzkrise, versteckt in einem historischen Block. Tatsächlich markiert dieses Halving eine Art Wendepunkt in der Geschichte der Kryptowirtschaft. Es ist Bitcoins erste waschechte Krise und er scheint sie gut zu meistern. Gleichzeitig wird durch die unendliche quantitative Lockerung der Zentralbanken immer mehr Menschen der Wert einer harten Währung bewusst. In der Zeitrechnung der Blockchain-Technologie befinden wir uns jetzt also im Jahr Eins nach Corona. So gesehen war Bitcoin nur der Prophet. Die Kryptowirtschaft, zusammen mit dem gesellschaftlichen Wandel den sie ermöglicht, ist der Messias.

DeFi-Epoche (2020-2024)

Für diesen gesellschaftlichen Wandel ist der Aufbau eines dezentralen Finanzsystems zwingend notwendig. Tatsächlich ist das Dezentrale Finanzwesen (DeFi), welches klassische Finanzprodukte wie Kredite, Derivate und Versicherungen mittels Blockchain-Technologie dezentralisieren will, eines der derzeit heißesten Themen. Das größte Problem im dezentralen Finanzwesen ist, dass Kredite nur dann gewährt werden können, wenn sie mit einer Kryptowährung besichert werden und zwar in einer höheren Summe als der gewährte Kredit. Für einen echten Kredit, der dem Kreditnehmer zeitweise Geld zur Verfügung stellt, also eine echte Risikoübernahme sind nach wie vor Banken nötig. Dieses Problem zu lösen wird vermutlich der Knackpunkt in den nächsten vier Jahren sein. Es handelt sich allerdings um ein Puzzle, welches sich aus vielen verschiedenen Teilen zusammensetzt. Um eine dezentrale Risikoübernahme zu erreichen, muss das Risiko zuerst einmal dezentral eingeschätzt werden. Um beispielsweise einen echten Kredit an eine Privatperson zu gewähren, so muss diese Person einen Score erhalten, der ihre Kreditwürdigkeit ausdrückt. In der traditionellen Finanzwirtschaft geschieht dies über Banken, Auskunfteien und Ratingagenturen. Um diesen Prozess zu dezentralisieren, könnte die Kreditwürdigkeit über eine wie auch immer gestaltete DAO, oder automatisch über einen Algorithmus berechnet werden. Dabei können alle möglichen Daten in diese Rechnung eingehen, zum Beispiel die Kredithistorie, wofür Datenmarktplätze benötigt werden. Auch zieht dies zwingen nach sich, dass wir Lösungen für das Identitätsmanagement auf der Blockchain brauchen, um Daten über eine Person Sammeln können, ohne jedoch ihr Recht auf Privatsphäre zu verletzen. Wenn benötigt, muss diese Person dann ihre Identität und die mit ihr verknüpften Daten nachweisen können. Dabei soll sie möglichst selbst entscheiden können, wem welche Daten zugänglich gemacht werden. Weiterhin spielt Risikotransformation, also der Ausgleich der Risikobereitschaften verschiedener Parteien eine Rolle. Dies könnte über dezentrale Versicherungen oder Vorhersagemärkte geschehen.

Epoche der Adoption (2024 – 2028)

Ist dieses Puzzle zusammengesetzt, so steht einer Massenadoption dezentraler Technologien nichts mehr im Weg. Sofern dieses dezentrale System ausreichend gut funktioniert, sind zentralisierte Finanzinstitute damit obsolet. Auch die Zentralbanken der einzelnen Länder müssen sich innerhalb dieser neuen technologischen Landkarte positionieren. Sie beginnen bereits, sich dieser mit der Herausgabe digitaler Zentralbankwährungen, CBDCs, anzupassen. Erst kürzlich startete Chinas Testlauf mit dem digitalen Yuan. Für solche CBDCs besteht durchaus ein Bedarf. Beispielsweise erwartet Joe Lubin, dass Kryptowährungen auch in der Zukunft nicht für den allgemeinen Zahlungsverkehr eingesetzt werden, ebenso wenig wie wir heute mit Elektrizität, Gold, oder Öl bezahlen. Es ist daher gut möglich, dass viele Menschen weiterhin Fiatwährungen für den täglichen Zahlungsverkehr verwenden werden, so wie viele Bitcoiner heute eine Krypto-Debitkarte bei sich tragen, um Zahlungen zu vereinfachen. Wenn immer mehr Menschen anfangen, sich dezentralen Technologien und damit auch dezentralen Währungen zuzuwenden, sind die Zentralbanken allerdings gezwungen, tatsächlich attraktive, also harte Fiatwährungen zu schaffen. Andernfalls würden sie es riskieren, dass niemand mehr ihre Währungen verwenden will.

Epoche der Transformation (2028 – ?)

Das Forschungs- und Beratungsunternehmen Gartner schätzt, dass Blockchain-Technologie innerhalb der nächsten 10 Jahre eine transformationelle Auswirkung auf beinahe alle Industriezweige haben wird. Wie jede neue Technologie werden auch Blockchains nachhaltige Auswirkungen auf unsere Gesellschaft haben. Es ist gut möglich, dass dezentrale Technologien und Prozesse in zehn Jahren so normal werden, wie heute Smartphones oder das Internet. Nachdem immer mehr Unternehmen die Vorteile dezentraler Geschäftsmodelle erkennen und nutzen und zentralisierte Finanzinstitute wie Banken und Versicherer zugunsten eines dezentralen Finanzwesens obsolet werden, stellen sich die Menschen zunehmend die Frage, wie sich die gesamte Gesellschaft dezentral organisieren kann. Projekte wie Kleros oder Aragon arbeiten bereits jetzt daran, eine dezentrale Gerichtsbarkeit zu schaffen. Dabei sorgen finanzielle Anreize dafür, dass die an dem System beteiligten Schlichter gerechte Urteile fällen. Eine juristische Ausbildung ist dafür nicht nötig. Bei zivilen Streitigkeiten kann man sich an diese Schiedsstellen wenden, wobei Smart Contracts sicherstellen, dass der Urteilsspruch der dezentralen Richter durchgesetzt wird. Projekte wie dezentrale Gerichte und freie Privatstädte wie Akon City stellen die Notwendigkeit zentralstaatlicher Institutionen in Frage. Was wäre, wenn wir noch weitere Funktionen des Staates, wie zum Beispiel öffentliche Ausgaben, Straßenbau, Schulwesen, Sozialwesen, Polizei oder Verteidigung entweder dezentralisieren, oder an private Unternehmen delegieren? Eine Gesellschaft ist im Wesentlichen ein Zusammenschluss von Individuen, welche durch eine räumliche Nähe miteinander verbunden sind, aber unterschiedliche Interessen haben. Die Gesellschaft wird durch eine Regierung gesteuert, deren Aufgabe es ist, für einen gerechten Ausgleich dieser Interessen zu sorgen. In der westlichen Welt besteht die allgemeine Auffassung, dass diese Regierung durch einen demokratischen Prozess legitimiert werden muss. Dabei ist das demokratische System allerdings weit davon entfernt, perfekt zu sein, zumal alle Wähler, die ihre Stimme nicht an eine der Regierungsparteien abgegeben haben, die Regierung eben nicht legitimieren. Nicht zuletzt spricht man deshalb auch von der “Diktatur der Mehrheit”. Bei dezentralen Organisationen wird der Interessensausgleich zwischen den Teilnehmern durch finanzielle Anreize geschaffen, was in der Fachsprache als “Governance” bezeichnet wird. Dabei legitimieren ausnahmslos alle Teilnehmer das Governance-System, da sie freiwillig daran teilnehmen. Es steht ihnen jederzeit frei, ihre Legitimation zu entziehen, indem sie ihre Teilnahme an dem System einstellen, oder einen Fork anstoßen, wie bei Ethereum Classic oder kürzlich bei dem sozialen Netzwerk Steemit. Sie haben sozusagen ein digitales Sezessionsrecht. Es ist zwar nicht abzusehen, dass ganze Nationen ihre gesamte Regierung sofort auf eine dezentrale Governance umstellen werden. Allerdings ist es sehr wahrscheinlich, dass solche Modelle zunächst auf kommunaler Basis getestet werden, wie beispielsweise in freien Privatstädten. Was alles danach noch kommt, wird die Zukunft zeigen.
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Tobias W. Kaiser
Tobias verfügt über einen Bachelorabschluss in angewandter Informatik, sowie einen Masterabschluss in Kognitionswissenschaft mit Fokus auf kognitiver Psychologie und künstlicher Intelligenz. Während seiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Gent nahm er an einem Forschungsprojekt in Verbindung mit einem großen französischen Telekommunikationsanbieter teil. Hierbei erforschte er die Anwendung von Spieltheorie auf den gemeinschaftlichen Ausbau von...
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